Neutralität

Der Begriff Neutralität meint im Allgemeinen eine Haltung der Unparteilichkeit und Objektivität. So betont das Staatsrecht in mehrfacher Hinsicht die staatliche Verpflichtung zur Unparteilichkeit bei Konflikten nichtstaatlicher Rechtssubjekte, wobei dies staatliche Institutionen wie auch das Agieren von Beamten betrifft (Staatslexikon-online). Darüber hinaus spielt der Begriff der Neutralität im Wissenschaftssystem, insbesondere in der wissenschaftstheoretischen Grundlagenreflexion der Soziologie, eine bedeutende Rolle. Weber hat die grundsätzliche Forderung der Wertneutralität an die Wissenschaften gerichtet, um diese gegenüber Versuchen politischer Einflussnahme zu schützen (Weber 1988). Die Aufgabe der Wissenschaft besteht nach Weber allein darin, Tatsachen unabhängig von Werturteilen, also wertneutral, zu beschreiben. Auch wenn der Grundsatz der Wertneutralität wiederholt in Frage gestellt wurde – etwa mit dem Hinweis, dass Wissenschaften samt ihrer Methodiken nicht frei von Werturteilen seien, allein weil sie in einem von Werturteilen durchdrungenen kulturellen Kontext entstehen –, wird der Wissenschaft im öffentlichen Bewusstsein ein gegenüber anderen Akteuren vergleichsweise hohes Maß an Neutralität zugeschrieben.

Im Datentreuhanddiskurs ist der Begriff der Neutralität in mehrfacher Hinsicht relevant. Zunächst schlägt der Data Governance Act (DGA), ein im Juni 2022 in Kraft getretener EU-Rechtsakt, die Schaffung neuartiger „Datenvermittlungsdienste“ (data intermediaries) vor und spricht dabei explizit von „neutrale[n] Vermittler[n] im Wirtschaftszweig der personenbezogenen Daten“ (Europäische Kommission 2020: 12). Wird der DGA als Leitlinie angesehen, folgt daraus, dass Datentreuhänder als neutrale Instanzen zu verstehen sind, die weisungsfrei agieren und zwischen mindestens zwei Parteien eine Vermittlungsleistung im Interesse beider Parteien (oder Partner), d.h. unparteiisch erbringen.

Im Anschluss an Buchheim, Augsberg und Gehring (2023) kann eine kontextbezogene Konkretisierung der Neutralitätsmetapher vorgenommen werden. Neutralität als Äquidistanz bedeutet, dass sich der Treuhänder keinesfalls mit einem der Akteure, die auf ihn zurückgreifen, und dessen Interessen gemein machen darf, was durch unterschiedliche organisatorische Ausgestaltungsformen (z.B. Rechtsform, Mitgliederstruktur, Governance-Regelungen, institutionalisierte Streitbeilegungsmechanismen) sichergestellt werden kann. Datenbezogene Neutralität bedeutet, dass der Treuhänder keinerlei Eigeninteresse an den vermittelten Daten und den durch ihn verknüpften und bereitgestellten Datenbeständen haben darf. Neben organisatorischen Maßnahmen lässt sich dies insbesondere durch die Wahl spezifischer technischer Arrangements gewährleisten (z.B. dezentrale Datenhaltung, Open-Source, Orientierung an etablierten technischen Referenzrahmen). Manche DTM, so etwa der transaktionsbasierte Ansatz, gehen sogar so weit, eine langfristige Speicherung oder gar Archivierung von Daten überhaupt zu vermeiden. Stattdessen darf der nutzungsrelevante Datensatz für jede vorzunehmende Vermittlung und d.h. kurzzeitig gebildet werden. Datennutzungsbezogene Neutralität meint eine funktionale Ausdifferenzierung in der Art, dass die eigentliche treuhänderische Leistung von anderen, auf der Datentreuhand aufbauenden Dienstleistungen abgespalten wird. Neutralität durch Forcierung von Pluralität bedeutet schließlich, dass der Treuhänder die Marktsituation „pluralisiert“, indem er allen Akteuren unter gleichen Voraussetzungen einen niedrigschwelligen Zugang zu seinen Diensten ermöglicht. Dadurch kann die Gefahr von datensammlungsbasierten Monopolbildungen, wie sie im Bereich der großen Plattform-Ökonomien anzutreffen sind, verhindert werden. An diesem Punkt stößt die Neutralitätsmetapher freilich schnell an ihre Grenzen, denn weil die Idee der Datentreuhand ja gerade darauf zielt, Marktdynamiken zu durchbrechen, die man in der europäischen Perspektive für wirtschaftspolitisch problematisch hält, kann die Etablierung von Datentreuhandmodellen zumindest in einem politischen Sinne gerade nicht als wertneutral bezeichnet werden.

Literatur

Buchheim, Johannes/Augsberg, Steffen/Gehring, Petra. 2022. Transaktionsbasierte Datentreuhand. Nutzungsszenarien, Kennzeichen und spezifische Leistungen eines neuen Modells gemeinsamer Datennutzung. In: Juristen Zeitung, 77. Jhg., Tübingen: Mohr Siebeck, S. 1139–1147. 10.1628/jz-2022-0385.

Europäische Kommission (2020): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Eine europäische Datenstrategie. https://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0066 [22.01.202]

Gehring, Petra/Laakmann, Jörn/Person, Christian/Seidemann, Till. 2025. Der neutrale, aber starke Intermediär: Ein neues Paradigma für die Datennutzung? In: Johannes Buchheim, Florian Möslein, Sebastian Omlor (Hrsg.): Datentreuhand und Recht. München: C.H. Beck (im Erscheinen, vsl. 06/2025).

Weber, Max. 1988. Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: Johannes Winkelmann (Hrsg.). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 146–214.

https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Neutralit%C3%A4t [21.01.2025]