Vertrauen wird meist als psychologisches Phänomen angesehen. Es beruht auf der individuellen Überzeugung, dass eine andere Person einem hilfreich sein oder zumindest nicht schaden werde, man das eigene Wohlergehen also trotz unvollständiger Einsicht in den situativen Gesamtzusammenhang vom Handeln dieser Person abhängig machen könne. Auf Grund der nur unvollständigen Einsicht in die Gesamtsituation birgt Vertrauen aber immer auch Risiken – es kann enttäuscht werden. Entscheidend ist jedoch, dass derjenige, der wirklich vertraut, gerade keine Enttäuschung erwartet und sich so verhält, als ob es kein Risiko gäbe. Vertrauen ermöglicht also Kooperation trotz Nichtwissens und erweitert dadurch die eigenen Handlungsmöglichkeiten. In der Soziologie wird insbesondere die gesellschaftliche Funktion von Vertrauen hervorgehoben. Simmel beschreibt Vertrauen als „Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen“ (Simmel 1992: 393). Als Hypothese sei Vertrauen ein „mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen.“ (Ebd.) Simmel entdeckt damit die über die rein zwischenmenschliche Beziehung hinausgehende sozialkonstitutive Funktion von Vertrauen für moderne Gesellschaften. Aufgrund der Ausdifferenzierung einer Gesellschaft und dem dadurch zunehmenden Nichtwissen über andere Akteure wird situationsbasiertes Vertrauen zur Voraussetzung für das Funktionieren objektivierter Sozialbeziehungen. Niklas Luhmann beschreibt Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Aus der Komplexität der Sozialordnung ergebe sich „ein gesteigerter Koordinationsbedarf und damit ein Bedarf für Festlegung der Zukunft, also ein Bedarf für Vertrauen, das nun immer weniger durch Vertrautheit gestützt sein kann.“ (Luhmann 2000: 24)
In der Digitalpolitik, insbesondere im Datentreuhanddiskurs, ist der Begriff des Vertrauens zu einem Leitprinzip geworden. So werden Datentreuhänder als neutrale Vertrauensinstanzen angesehen, die einen fairen und vertrauenswürdigen Datenaustausch über Organisations- und Sektorengrenzen hinweg ermöglichen. Ihre Vertrauensfunktion besteht darin, Vertrauen zwischen Marktteilnehmern herzustellen, indem sie vertrauensstiftende Maßnahmen implementieren. Darunter fällt die Bereitstellung von Kompetenz und Expertise, um Informationsasymmetrien abzubauen und opportunistisches Verhalten zu verhindern. Außerdem prüfen sie teilnehmende Akteure auf Seriosität und stellen Bewertungssysteme bereit, die Transparenz schaffen. Nach Vertragsschluss helfen sie wiederum bei der Überwachung der Vertragseinhaltung, üben also Kontrolle aus. Außerdem beschränken sie das Angebot ihrer Services auf Nutzer, die sich langfristig als vertragstreu und damit als vertrauenswürdig erwiesen haben.
Literatur
Luhmann, Niklas. 2000. Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: UTB.
Person, Christian. 2005. Gaia-X als informations- und dateninfrastruktureller Rahmen für Datentreuhänder – ein Beitrag zur Überwindung genereller Hürden des Datenteilens? In:Johannes Buchheim, Florian Möslein, Sebastian Omlor (Hrsg.). Datentreuhand und Recht. München: C.H. Beck (im Erscheinen, vsl. 06/2025).
Simmel, Georg. 1992. Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe, Bd. 11. Frankfurt am Main: Suhrkamp.