Zum Ende des Jahres werfen wir noch einmal einen Blick auf den Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Dort findet sich im Kapitel Digitales unter der Überschrift „Kultur der Datennutzung und des Datenteilens“ ein Abschnitt formuliert, der die Bedeutung von Datentreuhändern für das Vertrauen beim Datenteilen und für die Datenqualität herausstellt. So heißt es wörtlich im Koalitionsvertrag in den Zeilen 2239-2247:
„Wir wollen eine Kultur der Datennutzung und des Datenteilens, die Datenökonomie etabliert, auf Innovation setzt und Grund- und Freiheitsrechte schützt. Dafür beseitigen wir Rechtsunsicherheiten, heben Datenschätze, fördern Daten-Ökosysteme und setzen auf Datensouveränität. Wir schaffen die Grundlage, um Regelwerke, für die es sachgemäß ist, in einem Datengesetzbuch zusammenzufassen. Wir verfolgen den Grundsatz „public money, public data“ und gewährleisten dabei durch Datentreuhänder Vertrauen in Datenmanagement und hohe Datenqualität. Wo es möglich ist, schaffen wir einen Rechtsanspruch auf Open Data bei staatlichen Einrichtungen. Wir schaffen eine moderne Regelung für Mobilitäts-, Gesundheits- und Forschungsdaten. Dabei wahren wir alle berechtigten Interessen. Wir fördern die breite Anwendung von Privacy Enhancing Technologies.“
Die Botschaft ist interessant. Denn es wird deutlich, dass die Regierung für die Umsetzung des Grundsatzes „public money, public data“ Datentreuhändern eine zentrale Funktion einräumen will. Aspekte wie Prozess- und Qualitätsmanagement werden angesprochen. Aber schauen wir zunächst den Absatz und die darin so zahlreich genannten Ziele genauer an:
- Etablierung einer Kultur der Datennutzung und des Datenteilens – als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Normalzustand
- Etablierung einer Datenökonomie – Nutzung von Daten als wirtschaftliche Ressource
- Stärkung von Innovation durch Datennutzung – Daten als Grundlage für neue Produkte, Dienstleistungen und Forschung
- Schutz von Grund- und Freiheitsrechten bei der Datennutzung – Datennutzung im Einklang mit verfassungsrechtlichen Prinzipien
- Beseitigung von Rechtsunsicherheiten im Umgang mit Daten – klare rechtliche Rahmenbedingungen für Datenteilen und -nutzung
- Hebung bestehender Datenschätze – bessere Nutzung bereits vorhandener Datenbestände
- Förderung von Daten-Ökosystemen – vernetzte Strukturen für Datenaustausch zwischen Akteuren
- Stärkung der Datensouveränität – Kontrolle der Datengebenden über Nutzung und Weitergabe ihrer Daten
- Zusammenführung geeigneter Regelwerke in einem Datengesetzbuch – Vereinfachung und Systematisierung des Datenrechts
- Umsetzung des Prinzips „Public Money, Public Data“ – öffentliche Finanzierung soll zu öffentlicher Datennutzung führen
- Aufbau von Vertrauen in Datenmanagement durch Datentreuhänder – institutionalisierte Vertrauensmechanismen
- Sicherstellung hoher Datenqualität – verlässliche, nutzbare und konsistente Daten
- Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Open Data bei staatlichen Einrichtungen (wo möglich) – verbindlicher Zugang zu öffentlichen Daten
- Schaffung moderner Regelungen für Mobilitätsdaten – sektorale Governance für Verkehr und Mobilität
- Schaffung moderner Regelungen für Gesundheitsdaten – Nutzung sensibler Daten unter besonderen Schutzanforderungen
- Schaffung moderner Regelungen für Forschungsdaten – bessere Nutzbarkeit von Daten aus Wissenschaft und Forschung
- Wahrung aller berechtigten Interessen – Ausgleich zwischen Nutzung, Schutz und Gemeinwohl
- Förderung der breiten Anwendung von Privacy Enhancing Technologies (PETs) – technische Unterstützung von Datenschutz und Datensouveränität
Diese Aufzählung löst die auf den ersten Blick zunächst einmal bemerkenswert geschlossen wirkende Passage aus dem Koalitionsvertrag (Datennutzung, Innovation, Grundrechte, Open Data, Privacy Enhancing Technologies – all das wird in wenigen Zeilen zusammengedacht) durch deutlich weiterreichende Zielstellungen auf. Tatsächlich beschreibt der Text über die Benennung der vielfältigen Ziele im Grunde sogar den Anspruch, eine neue Ordnung im Umgang mit Daten zu etablieren. Auffällig ist dabei, dass zentrale Begriffe wie „Datentreuhänder“, „Datenökosysteme“ oder „Datensouveränität“ bewusst offen bleiben. Der Koalitionsvertrag formuliert also Leitplanken, schränkt aber wenig ein. Das eröffnet Spielräume – macht die Umsetzung aber zugleich aber anspruchsvoll. Der Ball liegt im Feld der Praxis.
Mit etwas Abstand zeigt sich Stand heute: Die Herausforderung liegt tatsächlich weniger im politischen Willen als in der Übersetzung dieses Anspruchs in vitale Projekte und in tragfähige Strukturen. Das Thema Zuständigkeiten lässt der Koalitionsvertrag freilich recht offen. Datennutzung und Datenteilen sind keine klar abgegrenzten Politikfelder, sondern Querschnittsthemen. Sie berühren tatsächlich, auch das zeigt der Koalitionsvertrag, Felder der Wirtschafts-, Forschungs-, Verwaltungs-, Gesundheits- und Rechtspolitik gleichermaßen. Entsprechend verteilt sind Zuständigkeiten, Programme und Initiativen. Diese Fragmentierung ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer gewachsenen Ressortlogik wie auch des generischen Charakters neuer Datenintermediäre als Instrument. Beides erschwert jedoch genau das Erzielen dessen, was der Koalitionsvertrag einfordert: verlässliche, skalierbare Datenökosysteme.
Hinzu kommt, dass sich viele der adressierten Fragen nicht allein rechtlich oder technisch lösen lassen. Gesetze können Datennutzung erlauben oder verpflichten, technische Lösungen können Zugriffe absichern oder anonymisieren. Vertrauen, Datenqualität und der anvisierte Kulturwandel hin zu einer tatsächlichen Bereitschaft zum Datenteilen entstehen jedoch erst dort, wo Rollen, Verantwortlichkeiten, Geschäftsmodelle und Governance klar geregelt sind und wo Wertversprechen für die Beteiligten deutlich werden. Genau an dieser Schnittstelle verortet der Koalitionsvertrag die Rolle von Datentreuhändern – allerdings ohne sie systematisch in bestehende Strukturen einzubetten.
In der Praxis zeigt sich somit ein für Inkubationsphasen von Neuerungen vertrautes Bild: Es entstehen zahlreiche Pilotprojekte, sektorale Plattformen und spezialisierte Lösungen, die jeweils für sich sinnvoll sind, aber nicht immer übertragbar oder auf Dauer angelegt. Vor diesem Hintergrund greift die Frage nach der richtigen Ressortzuordnung zwar zu kurz, ist aber eben auch nicht irrelevant. Sie verweist auf ein tieferliegendes Problem: Datennutzung wird weiterhin entlang bestehender institutioneller Grenzen organisiert, obwohl ihr Nutzen gerade in der Vernetzung über diese Grenzen hinweg liegt. Entscheidend ist daher weniger, welches Ressort formell zuständig ist, sondern wer den Überblick organisiert, die Agenda formuliert, die Umsetzung gestaltet und dafür die Infrastruktur auf- und ausbaut.
Das BMFTR und das neue Digitalministerium scheinen sich der „Kultur der Datennutzung und des Datenteilens“ verbunden zu fühlen – dies hat die durch das BMFTR geförderte DTM-Vernetzungskonferenz 2025 durch einschlägige Grußworte und Unterstützungssignale gezeigt. Gleichwohl scheinen derzeit die digitalpolitischen Schlagzeilen anderen Themen zu gelten. Zum Ende des Jahres lässt sich so eine gemischte Zwischenbilanz ziehen. Der politische Rahmen für eine Kultur der Datennutzung ist klar formuliert, das Problembewusstsein gewachsen. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Schritt von programmatischen Zielen zu tragfähigen Strukturen groß ist. Wenn Datentreuhänder Vertrauen und Datenqualität gewährleisten sollen, müssen sie als Teil einer langfristig gedachten Dateninfrastruktur verstanden werden – nicht als punktuelle Ergänzung einzelner Vorhaben. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es gelingt, diesen Perspektivwechsel auch praktisch zu vollziehen.
